
Was ist so schlimm daran, wenn Family-Influencer:innen ihre Kinder auf Social Media zeigen, Sara Flieder?
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[00:00:02.160] - Sara Flieder
Das ist ja auch schon ein bisschen pervers, dass man sagen muss, je kleiner und je süßer, desto mehr wird das geklickt. Und manchmal denke ich auch so, dass Influencer da auch so gar keinen Filter mehr haben. Es gibt zum Beispiel so Kommentare: „Lotte ist mein Lieblingskind und ich würde sie gerne mal besuchen. Sie kann mich ja mal in Berlin besuchen", und so. Man denkt so, das sind ganz fremde Menschen. Und die Influencer liken dann solche Kommentare und ich denke so, wenn das jemand über mein Kind schreiben würde, würde ich das voll gruselig finden. Vor allem, okay, der Account heißt irgendwie "Lisa70", aber "Lisa70" kann halt auch Herbert, 83 sein. Wer weiß das schon genau? Und auch "Lisa70" kann auf Kinder stehen oder was auch immer.
[00:00:34.560] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:56.960] - Nadia Kailouli
Immer mehr Eltern vermarkten ihre Kinder auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram. Dieses Family-Influencing zahlt sich aus. Kinder Content klickt gut. Je privater die Einblicke, umso mehr Follower und umso mehr Geld beim nächsten Werbedeal. Aber der sorglose Umgang mit Kinderfotos und Videos ist nach Ansicht vieler Expert:innen alles andere als harmlos. Schon vor drei Jahren hat ein Gutachten festgestellt: Das ist Kindeswohlgefährdung. Und eine Petition, die einen besseren Schutz von Kindern in sozialen Netzwerken fordert, hat über 50.000 Unterschriften eingesammelt. Passiert ist bisher wenig. Sara Flieder, Soziologin aus Hamburg und selbst Mutter, hat die Petition gestartet und setzt sich seitdem für Kinderschutz im Netz ein. Bei einbiszwei erzählt sie, warum sie unter anderem fordert, dass Kinder unter sieben Jahren überhaupt nicht mehr von ihren Eltern im Netz gezeigt werden dürfen. Ich freue mich, dass sie heute hier ist. Hallo bei einbiszwei, Sara Flieder. Schön, dass du da bist.
[00:01:49.240] - Sara Flieder
Hallo und danke für die Einladung.
[00:01:50.660] - Nadia Kailouli
Sara, du bist Kinderrechtsaktivistin, hast früher selbst mal Fotos geteilt von Kindern, also von deinem Kind. Das machst du heute nicht mehr. Warum?
[00:01:59.140] - Sara Flieder
Ja, ich habe mich ganz lange mit dem Thema beschäftigt tatsächlich, ob ich Fotos von meinen Kindern teilen soll oder nicht. Und ich habe auch eigentlich nicht so „schlimme" Fotos geteilt. Also so ein bisschen immer aus dem Alltag, um auch so ein bisschen übers Muttersein zu erzählen und was so mit Elternschaft einhergeht. Und genau, habe halt irgendwann so mitbekommen, was mit solchen Bildern passieren kann und habe mich auch mehr mit dem Thema Persönlichkeitsrechte beschäftigt und dadurch habe ich irgendwann gedacht: „Das ist ja eigentlich nicht so gut", und habe dann meine Bilder alle von meinen Kindern gelöscht und bin aber parallel dazu ganz vielen Influencerinnen gefolgt und dachte so: "Wahnsinn. Man kriegt ja total viel über diese Kinder mit, also viel mehr, als ich zum Beispiel über die Kinder von meinen Freunden weiß." Und dadurch bin ich so ein bisschen auf das Thema gekommen, was eigentlich mit so Bildern passieren kann und was es da so für Risiken gibt.
[00:02:38.590] - Nadia Kailouli
Was war so für dich das Aha-Erlebnis, wo du dachtest: "Um Gottes Willen"?
[00:02:43.320] - Sara Flieder
Ach, da kamen ganz viele Sachen zusammen, Weil ich finde, manchmal sind es auch gar nicht so einzelne Posts von Influencerinnen. Dann sind es dann eher so diese Gesamtgemengelage, also dass man zum Beispiel von vor der Geburt, von der Verkündung der Schwangerschaft sozusagen schon alles erfährt. Man sieht schon Ultraschallbilder, dann wird das Geschlecht verkündet, dann werden irgendwelche medizinischen Diagnosen teilweise geteilt, dann wird die Geburt teilweise gefilmt, online gestellt. Das Kind ist quasi gerade aus dem Bauch gezogen manchmal und landet halt schon irgendwie auf Social Media und dann geht halt irgendwie alles los, wie das Kind schläft, wann es Durchfall hat, wie die U-Untersuchungen laufen. Und teilweise habe ich dann solche Kinder sozusagen über vier, fünf Jahre verfolgt, in Anführungsstrichen, und wusste einfach so viel über die, dass ich dachte, das ist ja auch teilweise richtig gruselig. Genau.
[00:03:27.080] - Nadia Kailouli
Und was war das Aha-Erlebnis, als du gemerkt hast: „Ach so, diese Bilder, die ich poste, was dann über meinen Feed oder meinen Kanal mit diesen Fotos passieren kann"?
[00:03:36.020] - Sara Flieder
Ja, da kamen so mehrere Sachen zusammen. Ich habe zum Beispiel mal ein Bild geteilt von meinem Kind und man hat es gar nicht gesehen. Man hat sozusagen nur den Fuß gesehen und ich wollte eigentlich so ein bisschen aufklären und dachte, man kann zum Beispiel… Also das ist ein Junge und wollte dann so zeigen, man kann auch Jungs zum Beispiel die Fußnägel bunt machen. Farben sind für alle da. Das war eigentlich total die gute Intention. Und je länger ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe, desto mehr dachte ich: „Oh mein Gott, ich habe ja voll das schlimme Bild eigentlich gepostet, was so gerade für so Pädophile mit irgendwelchen Fetischen, zum Beispiel für Kinderfüße, voll das Futter ist." Und da habe ich mich tatsächlich auch so ein bisschen über mich selbst erschrocken, weil ich dachte: „Warum habe ich darüber nicht so nachgedacht?" Es war so total naiv, einfach, was ich da gepostet habe.
[00:04:14.800] - Nadia Kailouli
Du hast dich dann mehr und mehr mit dem Thema auseinandergesetzt und bist ja sozusagen zur Kinderrechtsaktivistin geworden im Zusammenhang eben mit Social Media. Was ist sozusagen deine Mission? Wo siehst du deinen Aktivismus? Was möchtest du erzählen?
[00:04:30.000] - Sara Flieder
Ja, ich habe das tatsächlich vor zweieinhalb Jahren habe ich eine Kampagne gegründet beziehungsweise eigentlich erst mal nur eine Petition gestartet, weil ich das so schlimm fand teilweise und auch dachte: Da werden ja richtig Kinderrechte auch verletzt. Das ist ja eigentlich auch teilweise nicht rechtens, was die da machen. Und habe dann eine Petition gestartet und wollte, dass zumindest solche Bilder verschwinden oder nicht mehr gepostet werden von Kindern, die irgendwie halbnackt sind oder nackt sind oder in so ungünstigen Situationen, sage ich mal, für die Kinder peinliche Situationen, wenn sie irgendwo peinlich eingeschlafen sind oder so. Und genau, dann habe ich die Petition gestartet und die war total erfolgreich. Da war ich selber so ein bisschen überrascht, weil das Thema Kinder ja immer so ein bisschen unter dem Radar läuft. Da interessieren sich nicht so viele für. Und das ist ja auch so eine Sache, die auch andere Kinder eigentlich schützen soll und nicht nur eigene Kinder. Wer da unterschreibt, hat ja für sich persönlich jetzt keine Verbesserung in dem Sinn. Es geht "nur" in Anführungsstrichen um den Schutz anderer Kinder. Aber ich hatte relativ schnell 50.000 Unterschriften zusammen und habe die dann an die Familienministerin übergeben, damals noch Lisa Paus.
[00:05:25.900] - Nadia Kailouli
Was war die Petition ganz klar? Was konnte man da unterschreiben?
[00:05:29.710] - Sara Flieder
Man konnte sich dafür einsetzen, dass die Kinder teilweise dann geschützt werden, zumindest, dass diese peinlichen Bilder nicht mehr geteilt werden und dass zum Beispiel solche Sachen wie Wohnort oder persönliche Daten nicht mehr genannt werden sollen. Genau, das hat sich jetzt ein bisschen weiterentwickelt, weil ich die Forderungen, die ich da hatte, tatsächlich auch gar nicht mehr weitgehend genug finde, sozusagen. Aber das war so der Startschuss für diese Kampagne und für meinen Aktivismus seitdem.
[00:05:52.980] - Nadia Kailouli
Aber wie können die geschützt werden? Also ist es nicht am Ende dann eben die Mutter oder der Vater, der überhaupt diese Fotos erst gar nicht hochlädt? Oder, also die Petition kann ja Leuten nicht verbieten, zu sagen: „Ladet Kinderfotos nicht mehr hoch", oder?
[00:06:04.020] - Sara Flieder
Ja, also das geht gar nicht um normales Sharing, sage ich mal, wo normale Eltern gemeint sind, weil das ja auch in einem ganz kleinen Rahmen stattfindet. Deswegen hat sich die Petition erst mal an Influencer:innen gerichtet, weil die natürlich eine ganz andere Motivation haben, auch diese Bilder hochzuladen. Die haben ja total viel … Also erst mal sind die Kinder gefährdeter, weil die total die krasse Reichweite haben. Teilweise ist es ja eine Million Follower. Und zum anderen ist es auch so, dass die natürlich einen monetären Anreiz haben, diese Bilder zu posten, weil jedes Kinderbild und jeder Post aus dem Krankenhaus, also je schlimmer, desto mehr Klicks gibt es sozusagen. Genau. Und deswegen habe ich das erst mal an die gerichtet. Und die sind ja keine Privatpersonen, oder nicht nur auch Eltern, die sind ja schon auch Unternehmen. Und da kann man natürlich Regeln anwenden. Plus eben auch, dass die Plattformen ja auch sich an gewisse Regeln halten müssten. Also die könnten ja auch sagen: „Ja, wir erlauben auch gar nicht mehr, dass nackte Kinderbilder hochgeladen werden dürfen, weil weibliche nackte Nippel dürfen ja auch nicht hochgeladen werden." Da könnte man ja, das wäre auch ein Ansatzpunkt, wo man was machen könnte.
[00:07:02.320] - Nadia Kailouli
Jetzt sprichst du ja gerade so das Unternehmerische dahinter an. Es gibt ja sehr, sehr viele Influencerinnen, die eigentlich überhaupt gar nicht so auf dem Content von „Ich bin Mutter und ich teile das jetzt" unterwegs sind, sondern sie sind eigentlich Model oder Schauspielerin, aber zusätzlich teilen sie dann die Bilder ihrer Kinder, zeigen sie aber nicht, sondern sie liegen auf dem Arm, sie bauen das Kinderzimmer auf, man sieht nur die Hände, wie sie spielen. Und dann sieht man immer, dazu gibt es die Anzeige, weil das Bett von XY wurde gesponsert oder eben die Klamotten für die Kinder wurden gesponsert. Und die machen ja dieses Family-Business so nach dem Motto: „Ich zeig mein Kind nicht", aber es ist natürlich irgendwie sichtbar. Ist das auch schon problematisch?
[00:07:42.140] - Sara Flieder
Ja, da kommen so ein bisschen zwei Sachen zusammen, weil zum einen ist es halt so, wenn die Kinder da Werbung machen für bestimmte Produkte, dann kann das in vielen Fällen unter Kinderarbeit fallen. Das sage ich auch schon seit zweieinhalb Jahren und das wurde immer so ein bisschen abgetan, auch in Kommentaren auf Social Media. Jetzt hat aber die Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes tatsächlich letztes Jahr einen Bericht rausgebracht und genau das gesagt, dass Family-Influencing in ganz vielen Fällen eben Kinderarbeit ist, weil die Kinder in diesen Werbespots mitarbeiten müssen oder mitarbeiten und ja wahrscheinlich in vielen Fällen auch gar nicht dafür entlohnt werden. Das Geld geht dann ja erst mal an die Eltern. Und für normale Kinderarbeit, die ist ja sowieso erst mal verboten, aber es gibt natürlich Ausnahmen, wenn Kinder zum Beispiel in Werbespots mitspielen im Fernsehen oder wenn die Katalogaufnahmen machen oder so. Und dafür gibt es aber ganz krasse Regeln: Wann die Kinder das machen dürfen, ab welchem Alter, wie lange, wie lange am Tag, zu welchen Urzeiten. Und das ist in dem ganzen Bereich Family-Influencing überhaupt nicht kontrolliert. Das ist so das eine Problem. Und das andere Problem ist ja auch, wenn die Kinder, auch wenn sie vielleicht nicht gezeigt werden oder man nur Teile von denen sieht, trotzdem es ja ein krasser Eingriff in die Privatsphäre ist, weil man natürlich auch zum Beispiel intime Räume sieht, also die Kinderzimmer sieht, oder teilweise gesagt wird, welche neuen Klamotten die Kinder tragen, oder dass irgendwie ja so eingebaut wird in den Alltag, sozusagen, man ja mal genau erfährt, wann welches Kind Geburtstag hat, wo es hinfährt in Urlaub und mit welchen Sachen es gerade spielt und so. Und das sind ja so persönliche Informationen, die auch nicht geteilt werden dürfen. Vor allem nicht, wenn sich dann so ein großes Gesamtbild ergibt über das Kind. Also es gibt so einige Influencerinnen, die ich verfolge oder von denen ich auch manchmal von meinen Followern mittlerweile Sachen geschickt kriege, weil die so schlimm sind.
[00:09:13.760] - Nadia Kailouli
Was ist zum Beispiel so schlimm? Also ich habe auch so ein paar Bilder im Kopf, sage ich dir auch gleich, aber vielleicht erzählst du mal, was du so geschickt bekommst, wo du sagst: „Puh, ey."
[00:09:20.920] - Sara Flieder
Ja, also ganz krass war neulich von einer… Da lagen die Kinder, das waren Babys und die hatten sich die Windel ausgezogen. Die waren noch relativ klein, also vielleicht so ein Jahr alt oder so, und hatten sich die Windeln ausgezogen im Bett und waren überall mit Fäkalien verschmiert. Und die Mutter hat da draufgehalten. Und abgesehen davon, dass das natürlich überhaupt nichts, ich finde es wirklich fassungslos, dass das nichts im Internet zu tun hat oder zu suchen hat, ist es auch einfach Kindeswohlgefährdung, das Kind in den eigenen Fäkalien liegen zu lassen und das nicht sofort abzuwaschen. Das ist ja auch einfach gefährlich. Also das war ganz krass. Dann habe ich mal gesehen, wie ein Kind, und das war auch schon älter, so vielleicht fünf, sich übergeben hatte und die Mutter hat es gepostet. Also wirklich komplett voll. Das Kind war noch dreckig und dann kam im nächsten Slide Werbung für so einen Nassstaubsauger, mit dem man das wegmachen kann. Also das sind so Sachen oder auch so ganz intime Stillmomente. Das finde ich auch ehrlicherweise nicht in Ordnung. Also nichts gegen Stillen, natürlich nicht, da kann man auch aufklären, aber man muss nicht das Kind dabei im Internet präsentieren. Das sind so krasse Sachen. Oder manchmal auch, wie Influencerinnen teilweise Zeugnisse posten oder wie eine andere Influencerin hat neulich mal gezeigt, wie ihr Kind wohl dachte, es wäre alleine mit der Mutter im Badezimmer und hat so mit dem Kind getanzt. Und der ist auch schon irgendwie älter, der Junge, vielleicht so vier, fünf. Also für den Jungen ja voll die intime Situation: „Ich tanze mit Mama im Badezimmer", wurde aber heimlich dabei gefilmt und hochgeladen. Und das sind halt auch so Momente, wo ich denke, das ist ja schon so ein Alter, wo Kinder normalerweise draußen in der Öffentlichkeit ganz anders agieren würden, als zu Hause in so einem geschützten Rahmen. Das Kind würde wahrscheinlich draußen nicht mehr so mit der Mutter kuscheln, weil es das vielleicht schon unangenehm findet vor seinen Freunden oder nicht mehr so als Baby gelten will. Und ja, so was erschüttert mich dann schon. Meine Kinder würden mir den Kopf abreißen, wenn ich so was posten würde.
[00:11:01.740] - Nadia Kailouli
Aber man merkt ja den Trend schon. Also ich sehe das jetzt auch in meinem Insta-Feed. Keine Ahnung, jetzt macht man sich natürlich auch so ein bisschen nackig, was man so folgt. Aber keine Ahnung, diese ganzen Fitnessmodels, die dann auch alle Mutter oder viele sind Mutter geworden und zeigen dann ihren super Fitnessbody auch im Bikini oft und haben aber ihre Kinder dabei, wenn sie sich ihr Essen präparieren, so „what I eat in a day" zum Beispiel. Und dann ist immer das Kind irgendwie dabei, entweder wird es getragen und die Mutter hat gerade so Sportklamotten an oder ein Bikini an, dann wird der Selleriesaft gemacht. Und es ist irgendwie immer das Kind dabei, was natürlich auch irgendwie … Es sieht natürlich auch süß aus: „Ach cool, die junge, hübsche Mutter mit dem süßen Kind auf dem Arm." Und jetzt, wenn du das so erzählst, werde ich erst dafür sensibilisiert, „Oh, das ist eigentlich gar nicht so cool, wenn ich die ganze Zeit sehe, wie so ein kleines Mädchen mit zwei Jahren mit der Mama da diesen neuen Sellerie-Mixer präsentiert."
[00:11:53.920] - Sara Flieder
Ja, und streng genommen eigentlich verboten. Eigentlich ist es verboten in vielen Fällen oder ja, wird aber nicht kontrolliert, weil niemand da hinterher kann, sozusagen noch nicht. Und weil teilweise sind es auch so Grauzonen rechtlich und teilweise Gesetzeslücken und dann einfach total das Kontrollproblem, weil das niemand mehr so machen kann oder dann die Zuständigkeiten vielleicht auch gar nicht so krass klar immer geklärt sind. Oder weil man Sachen gar nicht so auf den ersten Blick erkennen kann. Also ich habe jetzt zusammen mit dem Deutschen Kinderhilfswerk und der Organisation Campact von Anwälten ein Gutachten erstellen lassen und da drin steht halt, dass was Family Influencer machen, dass das in vielen Fällen schon Kindeswohlgefährdung ist. Genau deswegen, weil die gesagt haben, na ja, wenn man so Bilder zeigt von Kindern, die irgendwie krank sind, die Diagnosen teilt, intime Sachen teilt, das ist halt total schwierig fürs Kind, weil es diverse Gesetze jetzt schon bricht. Und so was ist natürlich total schwierig, dass da keiner hinterher kann oder kommt, weil einfach Zuständigkeiten nicht geregelt sind oder weil sich Sachen eben aus dieser Gemengelage erst ergeben. Man muss halt manchen Influencerinnen teilweise auch länger folgen und vor allem in den Stories folgen, um das mitzubekommen. Wenn man jetzt nur so einen oberflächlichen Blick auf manche Profile wirft, dann sind die Kinder vielleicht da gar nicht zu sehen oder nun mal vom Weiten. Aber in den Stories wird halt gezeigt, wie das Kind sich morgens fertig macht und ja, wie es irgendwo eingeschlafen ist und so. Und da ist dann teilweise schon krass. Und das ist, glaube ich, noch nicht so im Bewusstsein von den Stellen, die es eigentlich kontrollieren müssten, vielleicht oder die Zeit fehlt halt.
[00:13:16.260] - Nadia Kailouli
Aber es ist nicht viel erschreckender zu sehen, dass das überhaupt nicht in den Köpfen der Eltern ist. Also mir werden jetzt immer mehr Leute bewusst, denen ich so folge, zum Beispiel ein richtig cooler Koch aus Dänemark. Ich feiere den, der kocht so toll, das ist so ein cooler Typ. Und der hat jetzt aber ganz neu seit ein paar Monaten sein Kind immer mit dabei, dass es dann isst, was er gekocht hat. Daran musste ich jetzt zum Beispiel denken und denke mir… Und ich dachte eigentlich so: „Ach, wie süß. Guck mal, der ist ja auch Papa." Das hat mich jetzt so effected. Aber klar, jetzt im Nachhinein denke ich mir so: Am Ende ist das Kind die ganze Zeit bei seinen Werbespots dabei für die neuen Rezepte und so. Und das klickt natürlich viel mehr, weil das Kind so süß ist.
[00:13:58.600] - Sara Flieder
Ja, das bringt halt enorm viel mehr Geld. Und das habe ich auch, ich bin mit ein paar Influencerinnen in Kontakt, die auch die Kinder nicht oder nicht mehr zeigen. Und das ist auch schon krass, was die mir so erzählen, wie anders die Reichweiten sind, wenn man die Kinder zeigt. Und gerade wenn man die Kinder in so Situationen zeigt, die vielleicht auch so ein bisschen umstritten sind, also so im Krankenhaus oder so, dann kriegt man halt total viele Nachrichten: „Oh, was ist denn mit dem Kind?" und „Das tut mir so leid." Und dann kann man noch so Clickbait machen: „Wir berichten euch morgen weiter" und so. Ja, oder eben besonders süße Situationen, wo das Kind besonders niedlich eingeschlafen ist oder so. Und das bringt eigentlich ja noch mehr Geld und noch mehr Reichweite, sozusagen. Das ist natürlich dann auch ein totaler Anreiz für die Influencer, das dann zu machen.
[00:14:36.180] - Nadia Kailouli
Aber warum ist der Anreiz bei den Influencern nicht da, zu sagen: „Ich schütze mein Kind."? Also ich meine, wenn man ja Mutter oder Vater wird, ist ja dann so von dem Gefühl „Ich schütze mein Kind" ja irgendwie oberste Priorität. Warum passiert das denn nicht im Social-Media-Business?
[00:14:52.220] - Sara Flieder
Also ich weiß ja von ganz vielen, dass sie wissen, dass das nicht in Ordnung ist. Manche Influencerinnen haben sogar meinen Gutachten zugeschickt bekommen. Das war sehr witzig. Also es gibt es digital und eine Followerin von mir hat es dann mal ausgedruckt und an eine Influencerin geschickt, die Kinderrechte missachtet und die hat es dann vor laufender Kamera erst mal - „was für eine unnötige Papierverschwendung" - zerrissen. Aber die wissen das schon, weil die ja auch super viel Kritik mittlerweile kriegen, weil sich das gesellschaftliche Bewusstsein auf jeden Fall geändert hat. Was sie nach außen hin aber immer sagen, ist halt, ja, also zum Thema zum Beispiel, dass die Bilder im Darknet landen, was einfach auch bewiesen ist, also da gibt es auch Studien zu, ist halt immer: „Ja, da bin ich ja nicht das Problem. Also es sind ja die Pädophilen das Problem und nicht ich. Da kann ich ja gar nichts für." Wo ich denke: Ja, natürlich kannst du nichts dafür, was mit den Bildern sozusagen passiert, aber du stellst sie ja sozusagen auch zur Verfügung. Und du würdest dein Kind ja auch nicht nachts um drei an der Tanke aussetzen und sagen: „Ja, sorry, wenn es geklaut wird, da konnte ich ja gar nichts für." Man hat ja schon so eine Fürsorgepflicht und die halten sich halt einfach gar nicht ein. Und das finde ich schon erschreckend. Da ist dann doch irgendwie das Geld und der Fame und die netten Kommentare irgendwie wichtiger. Aber ich muss schon sagen, jetzt nicht nur durch das Gutachten, was wir gemacht haben und diese Kampagne, auch dadurch, dass sich irgendwie mehr Aufklärung, finde ich, es gegeben hat in den letzten Jahren, ist schon so, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein echt geändert hat und dass jetzt schon einige wieder zurückrudern und dann zumindest vorsichtiger werden. Immer noch manchmal unbedacht oder manchmal so Sachen posten, wo sie denken: „Ja, das ist gar nicht schlimm", aber man aus dem Zusammenschnitt dann doch relativ viel erfahren kann, sozusagen.
[00:16:19.380] - Nadia Kailouli
Also ich glaube, es gibt wahrscheinlich auch noch den Unterschied zwischen Privatmenschen, die einfach einen öffentlichen Account haben und sagen: „Hey, ich habe ein paar Freunde, denen folge ich und mir folgen auch ein paar Leute einfach, die mich nicht kennen, aber ich finde das irgendwie gut." Deswegen ist ja Instagram auch da, man teilt und man konsumiert. Und dann gibt es ja aber auch die, die wirklich professionell damit Geld verdienen. Und mein Eindruck ist auch, so aus dem privaten Bereich gibt es weniger Kinder, die gezeigt werden, wenngleich gar nicht. Aber aus dem Business-Bereich, also die, die Mutter werden, da kriegt man es auch mit. Also bei den meisten dieses „Ich schütze mein Kind", gerade auch als Promi, ist ja auch nicht mehr so. Man nimmt das ja auch dann noch mit und macht die Kinder mit zum daily Alltag und zeigt ja eher so ein bisschen dieses „Ja, ihr kennt mich nur vom roten Teppich und so, aber guck, ich bin ja auch hier zu Hause und ich bin Vater und ich bin auch Mutter und bei uns ist es ganz normal, wie bei euch auch." Das ist ja auch irgendwie so eine Botschaft. Ist das dennoch problematisch? Man will ja irgendwie zeigen, "wir sind irgendwie gleich auf", ne?
[00:17:19.080] - Sara Flieder
Ja, das stimmt ja schon mal nicht. Das finde ich auch immer so: „Ja, ich bin eine von euch." Da denke ich so: Nein, ehrlicherweise nicht, weil die haben natürlich in den allermeisten Fällen viel mehr Geld, viel mehr Unterstützung, also zumindest die großen Influencerinnen. Da putzt ja keiner sein Haus selber. Die können sich zum Beispiel irgendwie Essen liefern lassen, die haben Nannies, die haben mega viel Zeit, morgens zum Sport zu gehen. Die haben natürlich auch viel mehr Geld, um irgendwie das Haus schön einzurichten und teure Klamotten zu kaufen. Das ist ja komplett weit weg von dem normalen Alltag von Müttern oder von Väter, die ich so kenne. Und das finde ich ja fast noch schwieriger, weil sie ja sozusagen so ein Bild kreieren, das normale Leute gar nicht aufrechterhalten können. Also wie da Kindergeburtstage teilweise inszeniert werden mit irgendwelchen Mottotorten und riesigen Luftschlangen. Nein, wie heißen diese... Diese Luftballon, diese Girlanden, wo so 50 Luftballons drauf sind und so. Das ist ja teilweise schon hanebüchen. Und in vielen Fällen frage ich mich auch so ein bisschen … Also ich habe ja selber Kinder, ne? Also wenn ich mal ein Bild machen will an Weihnachten, dann ist das immer schon so: „Oh, ne Mama, will nicht." Und du denkst so: „Ja, ein Bild bitte, nur einmal für die Erinnerung." Und ich habe noch nicht mal den Anspruch, dass meine Kinder dann super gut gekämmt sein müssen und beige Klamotten tragen müssen, sondern die sollen einfach nur kurz in die Kamera gucken. Und das ist schon immer zu viel verlangt. Und die diese Kinder dann teilweise, wie so Zirkusäffchen teilweise, dressiert werden. Das finde ich schon echt krass. Plus, dass ich auch bei einigen Influencern so das Gefühl habe, die kreieren für ihre Kinder jeweils, auch manchmal, wenn sie mehrere haben, für jedes Kind so ein Image oder so eine Internetpersönlichkeit, die die Kinder vielleicht gar nicht sind. Dann ist es halt so der „kleine, süße, autistische Pete, der so gerne am Meer spielt" – gibt es wirklich – oder „der neurodivergente Tom, der Probleme in der Schule hat und da Mobbing ausgesetzt war." Und man denkt so: Also das sind ja Vielleicht so gar nicht die Kinder. Vielleicht haben die auch andere Hobbys oder wollen sich auch in eine andere Richtung entwickeln und so. Und das wird denen irgendwie total genommen, finde ich, dadurch, dass das sozusagen im Internet schon präsent ist. Und ich finde auch, dass sich das echt krass gewandelt hat, weil natürlich gehören Kinder mit zur Gesellschaft. Das ist auch immer so das Argument von Influencern: „Ja, die gehören ja mit dazu." Ja, natürlich gehören die mit dazu, aber trotzdem missachtest du ja reguläres Recht, was es jetzt schon gibt. Also es gibt ja die Kinderrechte, die sagen: Es gibt ein Recht auf Privatsphäre, es gibt ein Recht auf Schutz vor sexueller Ausbeutung oder wirtschaftlicher Ausbeutung auch. Und das passiert ja alles auf Social Media trotzdem. Das ist halt so krass.
[00:19:30.500] - Nadia Kailouli
Ja, und sichtbar sind sie ja trotzdem in der Gesellschaft, draußen. Man sagt ja jetzt nicht: „Geh mit deinem Kind nicht mehr ins Restaurant." Aber wir reden ja hier über den digitalen Raum, über das Internet, über die Social-Media-Plattform. Wie ist es denn dann, aber wenn man … Also es haben ja dann viele angefangen zu machen, dass sie ihre Kinder halt einfach so mit so einem Smiley im Gesicht dann pixeln. Wie stehst du dazu?
[00:19:53.260] - Sara Flieder
Ja, also ist auch ganz schwierig, weil ich erkenne die Kinder trotzdem. Wenn man sie von hinten zeigt und dann teilweise von der Seite, so halb im Profil. Und manchmal ist dieser Sticker ja auch einfach nur so ein Strich über die Augen, wo ich denke: Ja, der bringt auch nichts, als ob ich an der Augenfarbe jetzt das Kind erkennen würde. So ist es ja auch nicht. Und gerade die Hamburger Influencer-Kinder, die würde ich immer auf der Straße erkennen. Also vor allem, weil man ja auch manchmal live weiß, wo die sind und was die machen und so. Und das finde ich schon beängstigend. Und dann gibt es ja auch immer noch so Probleme. Also je nachdem, wie man den Sticker draufmacht, teilweise kann man die auch wieder entfernen. Dann gibt es KI-Tools, die einfach noch mal eine krassere Gefahr darstellen, weil man damit ja noch mehr machen kann. Da muss man noch nicht mal irgendwie … Da reicht es manchmal schon, wenn man dann nur das Gesicht hat oder so. Und da muss das Kind gar nicht halbnackt sein, weil dann kann man es mit KI halbnackt machen. Und das sind ja auch so Gefahren, die sind dann vielleicht noch nicht so vielen bewusst, weil KI einfach noch, oder zumindest in der Hinsicht, sozusagen, noch relativ neu ist. Ich glaube, da sind dann viele auch noch nicht so aufgeklärt, dass sie wissen, was mit solchen Bildern passieren kann.
[00:20:48.880] - Nadia Kailouli
Und wie du halt eingangs auch gesagt hast, also selbst ein lackierter Kinderfuß kann auf Plattformen landen. Da ist das Gesicht eigentlich zweitrangig. Da geht es Extremitäten, um Körperteile, die dann halt auf diesen Plattformen von Pädokriminellen einfach hochgeladen werden.
[00:21:04.900] - Sara Flieder
Ja, ich habe mal eine Geschichte erlebt, da war ich auch wirklich fassungslos. Da war ich im Austausch mit einer Influencerin, die ihre Kinder auch nicht zeigt und die hatte eine Anfrage von einem so Regenbekleidungshersteller und sie meinte: „Ja, kann ich Werbung für machen, aber dann würde ich mein Kind nicht zeigen, vor allem nicht mit Gesicht." Und dann hat der Geschäftsführer von der Firma, relativ kleine Firma auch, sie noch mal angeschrieben und meinte: „Ja, wieso nicht? Das wäre ja nichts", ich zitiere, „nichts Anstößiges, wenn man seine Kinder zeigt in Regenklamotten." Und dieser Satz hat die dann so misstrauisch gemacht, dass sie sich den Account mal genauer angeguckt hat und hat sich die Follower von diesem Account angeguckt. Und das waren zu 95% Männer, die so einen Latex-Fetisch hatten und die das auch offen ausgelebt haben auf ihrem Profil, also wirklich in komplett Latex-Montur sich gezeigt haben. Und das waren jetzt keine Regenbekleidung, das waren schon so aus so Sex-Shops, einfach solche Latex-Bekleidungen. Und teilweise Männer, also alte Männer, in Windeln haben sich da präsentiert und so. Und die haben halt auch unter den Kinderbildern, die es auf dem Account schon gab, kommentiert und die Kinderbilder geliked und auch so ein bisschen „Ja, süßes Kind", und so. Man denkt so: Okay, das ist ja was. Das muss der Geschäftsführer ja gemerkt haben. Der wird ja keine Werbung schalten wollen, wenn er merkt, dass sich das gar nicht lohnt. Und offensichtlich war bei dem Account die Zielgruppe überhaupt nicht irgendwie, keine Ahnung, junge Familien, die gerne Regenbekleidung kaufen, sondern Männer, die einen Latex-Fetisch haben. Und da hätte ich jetzt vor, keine Ahnung, zwei Jahren, als ich angefangen habe, hätte ich mir da mal nichts gedacht, ein Kind in Regenklamotten zu posten.
[00:22:29.540] - Nadia Kailouli
Okay, Ja, aber das ist ein super Beispiel, um einfach klarzubekommen: Hey, dein Kind ist dem schutzlos dann auch ausgeliefert. Dann ist es einfach auf einer Plattform unterwegs, wo du keine Kontrolle darüber hast, wer sich diese Bilder… Wer das konsumiert und was darüber hinaus gemacht wird. Und du hast jetzt mehrmals eben auch dieses Thema „Kindeswohlgefährdung" angesprochen, also Ausbeutung, die Rechte der Kinder, Kinderarbeit et cetera. Wie kann man das denn dingfestmachen? Weil wenn ich jetzt sage: „Ey, natürlich ist mein Kind dabei, wenn ich mir einen Saft mache", weiß ich nicht, wo ist denn da die Argumentationslage, zu sagen, nur weil du dann dazu schreibst, dass du gerade eine Anzeige schaltest, weil du diesen Mixer promotest, wo ist denn da die Kinderarbeit?
[00:23:11.880] - Sara Flieder
Ja, das ist tatsächlich so ein bisschen diese Grauzone, die noch schwierig zu fassen ist. Es gibt ja Länder, die das versuchen, ein bisschen irgendwie zu regulieren oder teilweise schon Gesetze erlassen haben. Ich glaube, in Kalifornien gab es jetzt ein Gesetz, das gesagt hat, wenn die Kinder zu mehr als 60 oder 70% auf dem Account überhaupt nur vorkommen, dann muss das Geld, das damit erwirtschaftet wird, an die Kinder gehen. Das ist natürlich auch so ein bisschen: Wer zählt denn das nach? Zählt man da jede Story-Slide? Das ist irgendwie so ein bisschen schwammig. Und deswegen haben wir in diesem Rechtsgutachten, von dem ich vorhin schon gesprochen habe, auch einfach so ein Schutzkonzept entwickelt, weil wir gesagt haben, es fehlen halt einfach noch mal richtige Regelungen und haben gesagt: Na ja, damit so was einfach gar nicht mehr passieren kann, würden wir sagen, Kinder unter sieben Jahren, also auf kommerziellen Accounts, dürfen nicht mehr stattfinden und dann von sieben bis 16 bis sie es selber entscheiden können, nur dann, wenn sie sozusagen selber auch zustimmen und wenn es so eine Person gibt, also so eine Beratungsperson, die das mitbestimmen kann, die jetzt nicht die Eltern sind. Das ist so eine Vormund für das Kind sozusagen.
[00:24:07.080] - Nadia Kailouli
Genau, weil ich wollte gerade sagen, was beinhaltet denn das Schutzkonzept? Aber das sind genau diese Punkte, zum Beispiel, dass man sagt, unter sieben wird nichts geteilt.
[00:24:14.860] - Sara Flieder
Genau, das wäre ideal, weil das natürlich auch diesen Anreiz wegmachen würde, weil gerade die unter sieben Jährigen, die sind, die am meisten geklickt werden. Das ist ja auch schon ein bisschen pervers, dass man sagen muss, je kleiner und je süßer, desto mehr wird das geklickt. Und manchmal denke ich auch so, dass Influencer da auch so gar keinen Filter mehr haben. Es gibt zum Beispiel so Kommentare: „Lotte ist mein Lieblingskind und ich würde sie gerne mal besuchen. Sie kann mich ja mal in Berlin besuchen", und so. Man denkt so: „Das sind ganz fremde Menschen." Und die Influencer liken dann solche Kommentare und ich denke, wenn das jemand über mein Kind schreiben würde, würde ich das voll gruselig finden. Vor allem, okay, der Account heißt irgendwie „Lisa70", aber „Lisa70" kann halt auch Herbert, 83 sein. Wer weiß das schon genau? Und auch „Lisa70" kann ja irgendwie auf Kinder stehen oder was auch immer. Und ich finde, dieses Thema Pädophilie, das wird auch immer so ein bisschen nach vorne geholt. Das ist natürlich auch die größte Gefahr, die dahinter steckt. Die ist ja auch reell, aber ich finde, das ganze Thema Privatsphäre dann fast teilweise für die Kinder selber noch schlimmer, weil – das klingt jetzt ein bisschen platt – aber wenn die Bilder im Darknet landen, vielleicht kriegen die Kinder das gar nicht mit, aber sie kriegen ja live im Leben mit, wenn sie verarscht werden in der Schule, weil die Mutter irgendwie über ein zwölfjähriges Kind gepostet hat: „Ach, sie kriegt jetzt ihre Periode. Und ich habe ihr schon mal die Periodenunterwäsche bestellt." Oder, wie ich gerade schon erzählt habe, dass sie in Fäkalien lagen oder dass sie irgendwie einen Nervenzusammenbruch gerade hatten. Und gerade so viele Influencer, die dann vermeintlich immer aufklären wollen, die zeigen halt auch teilweise alles über die Krankheitsgeschichte der Kinder. Da haben die Kinder irgendwie Autismus und du kriegst halt jeden Meltdown live mit. Und ich kann das verstehen, dass man sich auch austauschen will und dass man da so eine Community hat. Das kann ich auch alles nachvollziehen, aber es ist halt teilweise so krass auf dem Rücken in der Kinder und so intim, dass ich denke: Boah, das muss nicht sein. Also ich würde das auch nicht wollen. Ich würde auch nicht wollen, dass wenn ich irgendwie, keine Ahnung, PMS habe, dass mein Mann die Kamera draufhält, ohne mich zu fragen und sagt: „Meine Frau ist heute Morgen wieder richtig ausgeflippt und die nervt, jetzt isst sie wieder eine Packung Eiscreme." Das geht doch keinem was an. Vor allem nicht, also für Fremde, die das verfolgen, ist es schon creepy, aber noch unangenehmer für die Kinder ist es ja in ihrem direkten Umfeld. Das sieht ja jeder. Das sehen die Lehrerinnen teilweise, die folgen ja wahrscheinlich den Accounts auch aus Neugierde. Das sehen Freunde der Eltern, Nachbarn. Das ist ja unangenehm. Richtig, richtig unangenehm, finde ich für die Kinder.
[00:26:26.650] - Nadia Kailouli
Also Sara, ich muss jetzt schon sagen, obwohl wir noch nicht am Ende unseres Gesprächs sind, dass ich das so toll finde, dass du da bist, weil du öffnest einem ja, obwohl es so ersichtlich ist und eigentlich so klar, aber man redet da so selten drüber, so die Augen, was da eigentlich komplett falsch läuft.
[00:26:41.060] - Sara Flieder
Ich höre das tatsächlich öfter und dann sind immer Leute ganz erschüttert.
[00:26:43.300] - Nadia Kailouli
Ja, ich bin selber von mir selbst schockiert Ich muss jetzt echt ein paar Leuten entfolgen erst mal, weil ich mir denke: „Oh mein Gott, ja, ich kriege… Dein Kind ist jetzt vier und ich weiß alles. Ich weiß alles. Oh mein Gott." Und ich kenne diese Mutter eigentlich überhaupt gar nicht. Ich folge der nur, weil sie eigentlich diejenige war, die gezeigt hat, man kann auch pummelig im Bikini gut aussehen, ja, zum Beispiel. Und jetzt kriege ich aber ihre ganze Familiengeschichte mit. Oh mein Gott. Jetzt noch mal eine Frage zu den geschlossenen Accounts. Es gibt ja die Accounts, die sind eben nicht öffentlich, die sind privat. Ist das ausreichender Schutz?
[00:27:16.100] - Sara Flieder
Also nein, leider nicht - das hoffen ja immer Leute -, weil man ja bei Meta einfach alle Bildrechte abgibt, bei Meta und TikTok, also bei Instagram und Facebook und so. Wenn du da Sachen hochlädst, keine Ahnung, kann trotzdem immer was passieren. Auch von den Leuten- dann sagen Leute: „Ja, ist ein privater Account." Ja, wie viele Leute folgen dir? "Ja, 200." So, das ist ja auch nicht mehr so privat. Das ist natürlich auch ein Problem. Und ich empfehle Eltern immer, wenn sie Kinderbilder teilen wollen, dann nur eigentlich über sichere Messenger-Dienste. Ich mache das selber auch nicht nur, weil zum Beispiel meine Schwiegereltern und meine Eltern wohnen weit weg und die kriegen von den Kindern nicht viel mit und die haben kein Signal. Deswegen muss ich schon auch mal was über WhatsApp teilen, aber auch da überlege ich immer genau: Okay, kann ich das Bild teilen? Ist das für das Kind irgendwie unangenehm? Ich frage die Kinder auch ganz oft vorher: „Kann ich kurz ein Foto machen? Kann ich das Oma und Opa schicken?“ Auch, obwohl sie noch relativ klein sind. Und sie sagen auch ganz oft: „Nein, das nicht“, oder: „Mama, fotografiere mal lieber hier das Bild, das ich gemalt habe“, oder: „Hier, wie ich auf den Baum klettere“, oder was auch immer. Und habe denen auch gesagt: „Bitte nicht weiterleiten. Ihr könnt das gerne mal zeigen. Dann, wenn ihr eure Nachbarn trefft, dann könnt ihr die Kinder auch mal also die Fotos zeigen." Das ist ja auch in Ordnung. Das würdet ihr mit dem Fotoalbum ja auch machen, aber bitte nicht irgendwie komplett weiterleiten oder in euren Status posten oder so. Das würde ich jetzt nicht machen.
[00:28:25.000] - Nadia Kailouli
Jetzt könnte man fast glauben, du teilst gar nichts mehr auf Social Media. Ist das so?
[00:28:30.000] - Sara Flieder
Über mein Leben schon, ja. Natürlich poste ich auch mal was über Elternschaft, weil ich finde ja auch, viele Sachen sind ja auch diskussionswürdig, durchaus. Oder zum Thema Kinderrechte, was mich da so ein bisschen bewegt, wie ich finde, wie man zum Beispiel eine Gesellschaft kinderfreundlicher machen könnte. Ich überlege aber schon immer ganz genau, wie, was, wo. Und bin zum Beispiel extrem vorsichtig. Zum Beispiel, ich würde nicht auf dem Weg zu Kita fotografieren oder ich würde auch nicht live sagen: „Okay, jetzt gerade gehe ich zur Kita", damit auch niemand weiß, wann gehen meine Kinder zur Kita oder zur Schule oder was auch immer. Genau, da würde ich schon ein bisschen aufpassen, dass man jetzt nicht irgendwie, weil ich ja auch einen ziemlich auffälligen Namen habe oder Nachnamen habe, dass man jetzt nicht direkt irgendwie herausfinden kann, wo meine Kinder sich so immer aufhalten. Ich mache aus Urlauben auch schon mal Bilder, aber nicht von den Kindern, sozusagen. Zeig auch da, zum Beispiel, Orte, wo man gut mit Kindern hingehen kann. Aber in der Regel mache ich das nicht, wenn wir da sind, sondern dann später. Weil das sogar mir passiert und ich habe wirklich einen kleinen Account und ich mache auch keine Werbung und nichts. Also ich bin ja wirklich gar nicht keine klassische Influencerin in dem Sinne, dass ich teilweise auf der Straße erkannt werde. Und das will ich halt nicht, dass man da meine Kinder damit sieht, obwohl man ja nichts über die weiß.
[00:29:35.860] - Nadia Kailouli
Also das heißt, wenn du im Urlaub bist, dann machst du ein Bild vom Strand, aber nicht, während deine Kinder gerade über den Strand springen?
[00:29:40.940] - Sara Flieder
Genau. Und ich würde es dann vielleicht posten, wenn wir wieder vom Strand nach Hause fahren, sozusagen. Oder ich mache auch mal, mal mache ich auch Live-Sachen. Wenn ich jetzt zum Beispiel durch Berlin laufe und ein cooles Bild sehe, mache ich das auch, aber das bin ja nur ich, sozusagen. Da habe ich ja auch die Verantwortung dafür, wenn dann jemand weiß, wo ich bin, sozusagen.
[00:29:56.300] - Nadia Kailouli
Aber am Ende muss man sagen, und da kommen wir wieder auf diese Kinderarbeit, ist es ist halt einfach ein Business-Modell geworden, das Familienleben, die Elternschaft, die Kinder irgendwie mit in sein Daily Life irgendwie zu nehmen und die abzubilden. Also die meisten machen ja eben nicht explizit Content für kleine Kinder, sondern sie machen ihren Content, sei es Fitness, sei es Ernährung, sei es Sport, sei es ich weiß nicht irgendwas, und die Kinder spielen dann darin eine Rolle. Das ist ja schon etwas, was sich verändert hat.
[00:30:24.840] - Sara Flieder
Ja, würde ich gar nicht unbedingt so sagen, weil sie ja nicht unbedingt, also weil sie ja in Teilen eben nicht eine Rolle spielen können wie in Filmen, sondern ihr Privatleben ausbreiten müssen. Und ich habe neulich mal wieder nach Jahren – ich weiß gar nicht, wie alt der Film ist, 90er-Jahre oder so – „Die Truman Show" geguckt. Da geht es ja darum, dass so ein Mann, der im Film ist er ja schon älter, ist Mitte 30 oder so, aber er ist halt von Geburt an wächst er im Fernsehen auf, sozusagen. Also in so einer geschaffenen Welt und wird von Fernsehkameras rund um die Uhr beobachtet und weiß das nicht. Und im Film hat auch eine Frau und Freunde und einen Job und so, weiß aber nicht, dass das alles nur eine Inszenierung ist und findet das dann irgendwann raus und befreit sich so. Und ich habe den noch mal geguckt und dachte: Wow, das ist ja so krass, wie das einfach passt, sozusagen, zu der Welt, die da mit den Kindern irgendwie geschaffen wird, weil die ja gar keinen Rückzugsraum haben. Die haben ja nichts, was nur denen gehört. Keine, nichts. Und dass auch, selbst wenn das irgendwie… Klar versenden sich die Stories oder so, aber wenn man die Kinder über Jahre verfolgt, dann weiß man das ja auch irgendwie alles. Und das ist ja auch nicht mehr zurückzuholen. In den USA gibt es ja dieses ganze Thema Family-Influencing schon deutlich länger und da sind die Kinder dann dadurch auch schon deutlich älter und die verklagen teilweise die Eltern, weil die gesagt haben: „Ich finde das nicht in Ordnung." Und klar, irgendwann kriegen sie dann vielleicht recht und dann werden die Bilder gelöscht und dann müssen die Videos offline, aber dann ist das Kind in den Brunnen gefallen, weil in der Privatsphäre haben sie trotzdem nicht mehr. Das finde ich schon hart für die Kinder und auch voll den Vertrauensmissbrauch durch die Eltern einfach dann.
[00:31:46.480] - Nadia Kailouli
Absolut. Sara, du hast uns heute, würde ich sagen, auf jeden Fall mal ein bisschen die Augen geöffnet, dass wenn wir Kinder auf Social-Media-Kanälen sehen, da nicht immer nur begeistert von sein sollten, sondern dass sie auch kritisch mal betrachten sollten. Vielen, vielen Dank, dass du heute unser Gast warst und vor allem, dass du dich als Kinderschutzaktivistin sozusagen im Social-Media-Bereich auf den Weg machst, Schutzkonzepte erstellt hast und sogar eine Petition. Vielen, vielen Dank, Sara.
[00:32:08.500] - Sara Flieder
Danke schön. War schön, dass ich hier sein durfte.
[00:32:13.760] - Nadia Kailouli
Also Leute, was soll ich da jetzt noch sagen? Mir wurden so die Augen geöffnet heute von dem Gespräch mit Sara und ich kann nur sagen, wie cool ist das bitte, dass die sich selbst so auf den Weg gemacht hat, als sie selbst gemerkt hat: „Ist das eigentlich cool, dass ich meine Kinder poste?" Und jetzt eine Petition gestartet hat, ein Schutzkonzept mit entwirft und vor allem appelliert: „Ey Leute..." Also nicht nur die Privaten, sondern vor allem die, die Geld damit verdienen. Also ich sage euch eins: Ich entfolge all den Leuten, die mit ihren Kindern ein Business machen. Nach dem Gespräch von Sara, ich finde es echt nicht cool. Raus damit.
[00:32:45.380] - Nadia Kailouli
Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle 'Missbrauchsbeauftragte'. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.
Mehr Infos zur Folge
Das gesamte Leben online – bei vielen sogenannten Family-Influencer:innen kann man auf TikTok oder Instagram verfolgen, wie deren Kinder am Strand herumtoben, wann sie gestillt werden, wie ihre Kinderzimmer und Kleiderschränke aussehen, welche Krankheiten sie haben, wann sie wo im Urlaub sind, wie ihr Charakter ist. Bei vielen Elternblogger:innen werden die Kinder halbnackt oder schlafend gefilmt. Zusätzlich sind Kinder auch bei Werbe-Clips vor der Kamera dabei. All das landet im Netz – für immer.
Die Kinder sind meistens noch viel zu jung, um die Folgen abschätzen zu können, ihre Persönlichkeitsrechte werden so nicht gewahrt, viele sprechen auch von Kinderarbeit. Und – was viele Eltern-Influencer:innen vermutlich unterschätzen: Jedes vierte Foto, das auf Seiten von Pädokriminellen gefunden wird, stammt von Instagram oder Facebook. Kinder-Content ist bei Sexualstraftätern und -täterinnen sehr beliebt.
Sara Flieder, Soziologin aus Hamburg und selbst Mutter, kämpft für mehr Kinderschutz im Netz. Bei #einbiszwei erzählt sie, warum sie unter anderem fordert, dass Kinder unter 7 Jahren überhaupt nicht mehr von ihren Eltern gezeigt werden dürfen.

LINKSAMMLUNG
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Instagram @saraflieder
Petition von Sara: Kinderrechte auf Instagram wahren
Zur Petition
Artikel zum Gutachten: Kindeswohlgefährung auf Instagram
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Bündnis für die junge Generation
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Rechtsgutachten bestätigt: Veröffentlichung von Kinderfotos und Kindervideos auf Social-Media-Plattformen kann Kindeswohlgefährdung sein
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Sarah trifft Family-Influencerin
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