Prävention | Aus unserer Sicht (Betroffenenrat) | 05.04.2018

Statement zur Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der evangelischen Kirche anlässlich der Synode der EKD

Die Berichte Betroffener haben aber deutlich gemacht, dass es auch in der evangelischen Kirche täterschützende und verharmlosende Strukturen gab und gibt, die eine sachgerechte Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verhindert haben.

Dunkelfeldstudie

Der Betroffenenrat begrüßt ausdrücklich die von der EKD angekündigte Dunkelfeldstudie zur Erfassung des tatsächlichen Ausmaßes von sexualisierter Gewalt im Bereich aller Organisationsstrukturen der evangelischen Kirche. Eine solche wissenschaftliche Studie kann erstmalig die tatsächliche Dimension des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen offenlegen. Alle bisherigen Fallzahlen geben allenfalls erste Hinweise, denn schon für die befragten Landeskirchen gab es keine vergleichbaren Standards der Erfassung und Meldung solcher Taten. Darüber hinaus wurden in den Zahlen Gliederungen der evangelischen Kirche, die nicht der EKD zugerechnet werden, nicht erfasst. Dazu gehören z. B. Einrichtungen der Diakonie, evangelische Gemeinschaften und Klöster ebenso wie die Freikirchen oder auch organisierte Bereiche der Jugendarbeit, wie die christlichen Pfadfinder. Die angekündigte Dunkelfeldstudie ist ein wichtiger Schritt, um Aufarbeitung auch in der evangelischen Kirche zu ermöglichen. In diesem Sinne ist auch die angekündigte Risikoanalyse, die Klarheit über die für die evangelische Kirche spezifischen strukturellen Risiken, die Missbrauch begünstigt haben und weiter begünstigen, ein weiterer wichtiger Schritt.

Aufarbeitung bisheriger Verfahren

Die Berichte Betroffener haben aber deutlich gemacht, dass es auch in der evangelischen Kirche täterschützende und verharmlosende Strukturen gab und gibt, die eine sachgerechte Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verhindert haben. Auch hier wurden Täter versetzt, betroffene Gemeinden nicht informiert und Belange von Betroffenen bewusst ignoriert.

Hier ist wissenschaftliche Aufarbeitung, die auch den Zugang zu entsprechenden Akten ermöglicht, unabdingbar. Der Betroffenenrat fordert die evangelische Kirche auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen und sichtbar zu machen, wo auch in ihren Reihen Strukturen vorherrschten, die den systematischen Schutz von Tätern ermöglicht haben. Zudem muss in den Blick genommen werden, ob auch im Bereich evangelischer Einrichtungen Akten vernichtet wurden oder schlicht verschwunden sind, so dass eine Auswertung heute nicht mehr möglich ist. All dies braucht es, damit die Feststellung des EKD-Ratsvorsitzenden, es gebe keine Toleranz gegenüber Tätern und Mitwissern auch kirchenintern für alle bisher bereits gemeldeten Fälle tatsächlich Konsequenzen hat.

Anlaufstelle für Betroffene

Für Betroffene ist die geplante Einrichtung einer niedrigschwelligen, bundesweiten und kirchenunabhängigen Anlaufstelle ein wichtiges Signal: Endlich können sie losgelöst von Tatorten oder ihrem jetzigen Wohnort und ohne dafür kirchliche Kontexte aufsuchen zu müssen, ihre oft traumatischen Erfahrungen sichtbar machen. Sie werden selbst entscheiden können, ob es ihnen um Sichtbarkeit geht oder ob sie ein disziplinarrechtliches Verfahren anstrengen wollen.

Eine solche Meldestelle muss aber bekannt gemacht werden, um Betroffene überhaupt zu erreichen. Hier fordert der Betroffenenrat eine bundesweite Kampagne, über die deutlich wird, dass die evangelische Kirche aktiv auf Betroffene zugeht und sie bittet, sich zu melden. Die Kampagne muss auch klar definieren, welche Handlungen von der evangelischen Kirche klar als sexualisierte Gewalt benannt werden. Hier ist es zum Beispiel gerade wegen der im Jugendalter Betroffenen wichtig zu benennen, dass überall dort, wo in der Jugendarbeit Nähe, auch seelsorgerliche Nähe schrittweise ausgenutzt wurde, um ‚beziehungsähnliche‘ Muster aufzubauen, die dann auch sexualisierte Verfügungsgewalt ermöglichte, eine Form von sexualisierter Gewalt ist.

Beauftragtenrat

Es fehlt bisher an einem Zeitplan zur Implementierung der im Bericht der EKD zugesagten Punkte, zum Beispiel für die neu zu schaffende Anlaufstelle. Bisherige Aufarbeitungsprozesse in der katholischen Kirche machen aber deutlich, dass solche Strukturen auf Dauer angelegt sein müssen, wenn sie Erfolge zeigen sollen. Hier fehlt den Ankündigungen der EKD noch die notwendigen Verbindlichkeit. Diese sollte möglichst schnell und möglichst klar nachgeholt werden und über eine entsprechende Mandatierung des Beauftragtenrates abgesichert werden.

Kriterien und Standards der Aufarbeitung für alle Landeskirchen

Aufgrund der regionalen Strukturen der evangelischen Kirche in Deutschland müssen verbindliche Strukturen in allen Bereichen geschaffen werden. Die evangelische Kirche muss hier allen Gliederungen, auch und gerade im Bereich der vielfältigen Freikirchen und Kommunitäten sowie der organisierten Jugendarbeit z. B. im Bereich der Pfadfinder, klare und verbindliche Standards vorgeben, die dann von Kinder und Jugendlichen bzw. deren Eltern oder externen Fachkräften auch eingefordert und deren Einhaltung entsprechend überprüft werden können.

Es ist gut, dass dieser Synode die evangelische Kirche in Deutschland ein klares Bekenntnis zu eigener Verantwortung für die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen abgegeben hat. Nun gilt es, die Haltung von null Toleranz gegenüber Tätern und Mitwissern in der evangelischen Kirche auch in allen Bereichen kirchlichen Lebens sichtbar und zu werden zu lassen, damit künftig diese Maxime auch im tagtäglichen Handeln von Kirchenverantwortlichen Ausdruck findet.

Der Betroffenenrat, Fachgremium beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)

(Pressekontakt Betroffenenrat: Kerstin Claus, Mobil: 0171-3496851) 

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